Abolitionismus: Tierausbeutung abschaffen, nicht reformieren

Abolitionismus bedeutet Abschaffung. Analog zum historischen Abolitionismus (der Abschaffung der Sklaverei) wird damit heute die Forderung nach Abschaffung der Tierausbeutung und Etablierung von Tierrechten bezeichnet. Er richtet sich gegen den Reformismus, der durch den Neuen Tierschutz vertreten wird (siehe Basisinformationen). Der Veganismus ist die persönliche Basis eines jeden Tierrechtlers.

21. Januar 2011

Interview: "Vegetarier sind genauso Mörder wie alle Unveganer"

Achim Stößer über eine komplett tierfreie Ernährung

Achim Stößer im Gespräch mit Stephan Karkowsky

Der hessische Tierrechtsaktivist und Science-Fiction-Autor Achim Stößer gilt als einer der kompromisslosesten Veganer Deutschlands. Nicht-vegane Freunde habe er nicht, da er "beispielsweise auch keine Rassisten als Freunde" habe.

Stephan Karkowsky: Für den letzten Teil der "Radiofeuilleton"-Reihe "Tiere essen" haben wir heute einen hessischen Tierrechtsaktivisten eingeladen. Achim Stößer schreibt Science-Fiction-Storys und gehört in der Gegenwart zu den radikalsten und kompromisslosesten Veganern Deutschlands. Guten Morgen, Herr Stößer!

Achim Stößer: Ja, guten Morgen, Herr Karkowsky!

Karkowsky: Ich durfte lernen, dass es weniger als 80.000 Veganer in Deutschland gibt - Sie sind nun einer davon. Was essen Sie denn und was essen Sie nicht?

Stößer: Ich esse im Prinzip alles außer Tierprodukten, das heißt natürlich keine Leichen, also Teile von toten Tieren, und natürlich auch keine Eier, keine Milchprodukte, kein Honig und so weiter.

Karkowsky: Sahne, Quark fällt alles aus?

Stößer: Das fällt in der nicht-veganen Version aus, ja, aber das gibt es natürlich alles in Veganervariante auf Pflanzenbasis, also Sojamilch, Reismilch, Dinkelmilch und so weiter, entsprechend auch Quark, wobei Tofu, die deutsche Bezeichnung für Tofu ist ja Sojabohnenquark, von daher kann man das durchaus als Quarkalternative zum Beispiel verwenden.

Karkowsky: Wie halten Sie es denn mit anderen Tierprodukten, also mit Lederschuhen, Möbeln, Federboas und so weiter?

Stößer: Ja, also Veganismus ist natürlich nicht eine Ernährungsform, wie das gern geglaubt wird, sondern das ist eine Lebenseinstellung, die sich auf alle Bereiche des Lebens bezieht. Das heißt, ich trage natürlich beispielsweise keine Lederschuhe. Bei der Ernährung, die steht natürlich insofern im Vordergrund, als die meisten Leute oft mehrmals sogar täglich was essen, während Schuhe oder Sofas nicht ganz so oft gekauft werden.

Karkowsky: Nur mal so aus praktischen Gründen gefragt: Ist es im Winter nicht hinderlich, keine Lederschuhe zu tragen?

Stößer: Nein, nein, also das ist überhaupt kein Problem. Also, ich trage im Moment auch nicht die Klischeestoffschuhe, da gibt es inzwischen auch von der Technik her wesentliche bessere Materialien als Tierhaut. Also nicht nur aus ethischen Gründen, sondern auch aus ganz pragmatischen Gründen ist das überhaupt nicht notwendig.

Karkowsky: Aber ich nehme an, die ethischen Gründe stehen bei Ihnen im Vordergrund, oder? Warum tun Sie das, warum sind Sie Veganer?

Stößer: Ja, natürlich, die ethischen Gründe sind die Gründe, aus denen ich Veganer bin, ganz einfach, weil durch Unveganismus eben Tiere umgebracht werden. Tiere werden dafür gefangen gehalten, ihr Leben lang normalerweise, und dann eben getötet, und das möchte ich nicht für mich haben, dass die Tiere für mich getötet werden. Und letztendlich möchte ich eine Gesellschaft haben, in der das grundsätzlich nicht passiert.

Karkowsky: Und da wird Ihnen sicherlich oft entgegengehalten, das gehört ja nun zur Kulturgeschichte der Menschen dazu, dass wir nicht nur Farmer, sondern auch Tierhalter sind - was sagen Sie dann?

Stößer: Ja, inzwischen sind wir - zumindest einige von uns - aus den Höhlen raus und müssen nicht mehr auf Cro-Magnon -Niveau uns verhalten. Also es war durchaus früher üblich, auch andere Dinge zu tun, die heute nicht mehr so gebräuchlich sind. Ein klassisches Beispiel: Sklavenhaltung etwa ist heute weitgehend verpönt und so gut wie - sage ich mal - abgeschafft. Das bezieht sich auf die menschlichen Sklaven, aber auf die nicht-menschlichen Sklaven ist das natürlich genauso anzuwenden und muss beendet werden.

Karkowsky: Sagen Sie mir was zu Ihrem Alltag: Wie einfach oder auch wie anstrengend ist es denn, die Veganer-Ethik im Alltag konsequent durchzuhalten?

Stößer: Ja, das ist mittlerweile überhaupt kein Problem mehr. Also als ich angefangen habe vor ungefähr 19 Jahren mit dem Veganismus, war es noch nicht ganz so einfach, da musste ich schon einige Kilometer fahren, um beispielsweise Sojamilch zu bekommen - die gibt es heute in jedem Discounter. Und ansonsten, also es ist wirklich überhaupt kein Problem, und es gibt natürlich inzwischen viel Erfahrung. Wenn man das mal eine Weile gemacht hat, dann ist das einfach Alltag und man bemerkt es gar nicht mehr wirklich in der Regel.

Karkowsky: Wie gehen Sie denn mit Leuten um, die keine Veganer sind, haben Sie da Freunde?

Stößer: Nicht-vegane Freunde habe ich nicht, nein, also ich habe beispielsweise auch keine Rassisten als Freunde. Das würde mir einfach nicht liegen, mit Menschen, die Tiere umbringen, um sie beispielsweise aufzuessen, befreundet zu sein.

Karkowsky: Aber hat ein Mensch nicht eine viel komplexere Persönlichkeit, als ihn zu reduzieren auf diesen Tatbestand des Unveganismus?

Stößer: Hat ein Mensch nicht eine viel komplexere Persönlichkeit, als ihn zu reduzieren beispielsweise auf den Tatbestand des Faschismus? Also ich wäre auch nicht mit einem Neonazi zum Beispiel befreundet, auch wenn der beispielsweise sich sozial irgendwie engagiert für benachteiligte Kinder.

Karkowsky: Sie hören Achim Stößer, den wir als Veganer eingeladen haben in unserer Reihe "Tiere essen". Herr Stößer, sind denn manche Dinge für Sie schlicht unmöglich, wie zum Beispiel der Besuch eines Restaurants, wo unter anderem auch Tierprodukte verwendet werden?

Stößer: Unmöglich wäre das oder ist das sicherlich nicht, ich möchte das allerdings, ich persönlich, möchte es nicht machen. Es gibt viele Veganer, die das tun, die dann eben in einem, ich sag mal, normalen Restaurant etwas Veganes dann essen. Mir persönlich ist das unangenehm. Also. ich gehe zum Beispiel auch nicht in ein Leichenschauhaus und lecke da die Bahren ab, also das wäre mir einfach unangenehm. Und ich möchte auch nicht unbedingt neben Leuten essen, die sich jetzt da beispielsweise irgendwelche toten Tiere in den Mund schieben, wenn sich das vermeiden lässt.

Karkowsky: Würden Sie denn in Geschäften Schuhe kaufen, Jeans oder Wintermäntel, wenn die auch Lederprodukte oder Felle im Angebot haben?

Stößer: Ja, das ist im Moment in der gegenwärtigen Situation kaum anders zu machen, da fast überall unvegane Produkte verkauft werden, außer in einigen wenigen veganen, im veganen Versandhandel. Da gibt es dann nur vegane Produkte, aber das ist ganz selten, und das reicht auch nicht wirklich aus.

Karkowsky: Konsequent leben ist ja grundsätzlich etwas, vor dem man Respekt haben sollte. Wie begegnet Ihnen denn die Gesellschaft, zeigen die Menschen Verständnis?

Stößer: Das ist ganz unterschiedlich. Also viele zeigen Verständnis, sagen auch, dass sie das gern auch machen würden, viele werden durch Kontakt mit mir natürlich selbst vegan, andere verstehen das natürlich überhaupt nicht. Also da lässt sich nichts irgendwie pauschal sagen.

Karkowsky: Nun wird unsere Reihe "Tiere essen" angeregt durch die beiden Vegetarierbücher von Karen Duve und Jonathan Safran Foer, "Anständig essen" und "Tiere essen". Seit gestern sind die Autoren im Doppelpack in Deutschland auf Lesereise. Sind Sie denn froh darüber, dass diese Bücher die Menschen aufmerksam machen auf das Unrecht Tieren gegenüber?

Stößer: Nun, zum einen ist der Effekt natürlich, dass das im Gespräch ist in den Medien, jetzt auch hier, das ist natürlich ein positiver Effekt. Die Konsequenz, oder vielmehr fehlende Konsequenz, der beiden Autoren ist da natürlich ein ganz anderer Aspekt. Da wird natürlich eine Tür geöffnet, ein Tor geöffnet für Inkonsequenz, für Tierausbeutung - und genau das ist es ja, was eigentlich abgeschafft werden muss.

Karkowsky: Aber Vegetarier dürften Ihnen doch immer noch lieber sein als Fleischesser, oder?

Stößer: Da gibt es eigentlich keinen wesentlichen Unterschied. Also, ob nun die Opfer aufgegessen werden oder nicht, ist hier irrelevant. Vegetarier sind genauso Mörder wie alle Unveganer. Für die Eiproduktion werden die männlichen Küken gleich am Schlüpftag vermust oder vergast und die Hennen nach einem Jahr umgebracht, weil die sogenannte Legeleistung nachlässt, obwohl die Lebenserwartung 20 Jahre beträgt. Und ungefähr auch die Lebenserwartung von Rindern, da ist es ähnlich. Die Rinder müssen natürlich jedes Jahr schwanger werden, die Kühe …

Karkowsky: Um Milch zu produzieren.

Stößer: … um Milch zu produzieren, genau. Ja, die werden dann nach vier Jahren ungefähr umgebracht, die Kälber die dabei jedes Jahr entstehen, natürlich entsprechend auch, soweit sie nicht wieder selbst, wenn sie weiblich sind, für die Milchproduktion eingesetzt werden.

Karkowsky: Nun könnte man argumentieren, es gäbe diese Tiere gar nicht, wenn sie nicht für die Lebensmittelproduktion gezüchtet worden wären.

Stößer: Das ist richtig. Wäre es in Ordnung, Sklaven zu züchten, nur damit diese Sklaven existieren? Ein nicht existierendes Lebewesen, bevor es anfängt zu existieren, hat ja keine Interessen. Die Lebewesen, wenn sie dann existieren, haben sehr wohl Interessen, und deren Interessen, deren Recht auf Leben und so weiter wird massiv verletzt durch Unveganismus.

Karkowsky: Was halten Sie denn - und auch die Frage kennen Sie natürlich - von Tieren, die Tiere essen?

Stößer: Nun, das ist so, dass beispielsweise männliche Löwen auch die eigenen Kinder beziehungsweise die Kinder von anderen Löwen essen, das ist natürlich keine Rechtfertigung, dass wir das tun. Ein Kind beispielsweise von drei Jahren, das mit der Jagdwaffe seines Vaters einen Spielkameraden erschießt, kann gar nicht begreifen, was es da tut, und wird deswegen von den Gesetzen auch entsprechend behandelt. Und ähnlich verhält es sich auch etwa mit einem Schimpansen, der sicherlich nicht weiß, was er da tut, wenn er einen anderen Affen umbringt.

Karkowsky: Also der Mensch als Vernunftwesen sollte sich grundsätzlich anders verhalten als die anderen Tiere?

Stößer: Mit dieser Fähigkeit, das zu tun - jeder, der das weiß, dass es möglich ist, hat eigentlich die Verpflichtung, das zu tun, ja.

Karkowsky: Was ist mit den Pflanzen, die sind ja auch Lebewesen? Da gibt es den Zellularbiologen Frantisek Baluska von der Universität Bonn, der sagt, Pflanzen hätten sogar mehr Sinne als Menschen, und manche Ethnobotaniker sind sich sogar sicher, Pflanzen hätten eine Seele. Warum machen Sie da einen Unterschied?

Stößer: Ja, also eine Seele per se existiert ja ohnehin nicht, weder bei Pflanzen noch bei Tieren. Also, ich bin Atheist und glaube nicht an so etwas wie eine Seele. Wenn Sie Bewusstsein oder etwas in der Richtung damit meinen, das ist natürlich etwas ganz anderes, aber ich denke, da wird das durchaus falsch dargestellt. Diese sogenannten Sinne sind keine Sinne in der Wahrnehmungsbedeutung. Also ich denke, eine Karotte ist hinreichend untersucht, um sagen zu können, die hat kein Bewusstsein, die hat keine Interessen, und deswegen besteht da nicht irgendwie die Notwendigkeit, ihr Lebensrecht in Betracht zu ziehen. Ganz anders ist das etwa mit einem Huhn, das sehr wohl ein Lebensinteresse hat.

Karkowsky: Als Tierrechtsaktivist haben Sie ja auch eine Mission, Sie wollen die Menschen überzeugen. Wie oft gelingt Ihnen das?

Stößer: Das kann ich natürlich schlecht sagen. Also ein Großteil unserer Aufklärungsarbeit findet ja heutzutage natürlich im Internet statt, und da gibt es natürlich nicht immer ein Feedback, also dass die Leute sagen, ja, ich bin jetzt vegan geworden, aber durchaus sehr oft. Also gerade durch unseren Artikel "Vegetarier sind Mörder" sind schon sehr viele Menschen vegan geworden, weil da eben der Groschen gefallen ist, weil sie da begriffen haben, dass es falsch ist, was sie tun, und sie ihr Verhalten da entsprechend geändert haben. Und das melden einige dann auch, wobei ich absolut nicht abschätzen kann, wie viele dadurch vegan geworden sind, ohne uns das zu sagen.

Karkowsky: Und eine Frage zum Schluss noch, Herr Stößer: Was gibt es bei Ihnen heute zum Mittagessen?

Stößer: Da habe ich noch gar nichts geplant. Gestern, wenn Sie das interessiert, da hatte ich einen ganz einfachen Tomaten-Nudel-Auflauf.

Karkowsky: Der Science-Fiction-Autor Achim Stößer ist einer der kompromisslosesten Veganer Deutschlands, und das hat er deutlich bewiesen in diesem Gespräch, für das ich Ihnen herzlich danke!

Stößer: Ja, ich danke Ihnen auch!


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