Abolitionismus: Tierausbeutung abschaffen, nicht reformieren

Abolitionismus bedeutet Abschaffung. Analog zum historischen Abolitionismus (der Abschaffung der Sklaverei) wird damit heute die Forderung nach Abschaffung der Tierausbeutung und Etablierung von Tierrechten bezeichnet. Er richtet sich gegen den Reformismus, der durch den Neuen Tierschutz vertreten wird (siehe Basisinformationen). Der Veganismus ist die persönliche Basis eines jeden Tierrechtlers.

17. Dezember 2009

Tierrechte liegen nicht in den Schmerzrezeptoren

Adam Shriver, Verantwortlicher des Philosophy-Neuroscience-Psychology (PNP) Program der Universität Washington, argumentiert in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift "Neuroethics" dafür, den Tieren das Schmerzempfinden wegzuzüchten (in diesem Fall mit Gentechnik beschleunigt) würde ihre Benutzung als Ressourcen ethisch weniger problematisch machen. Dabei sind Tierschützer sind grundsätzlich die Zielgruppe seiner Argumentation, so suggeriert bereits die Überschrift - "Knocking Out Pain in Livestock: Can Technology Succeed Where Morality has Stalled?" – die Moral wäre in der Frage um das Quälen der Tiere "ins Stocken geraten". Für Vegetarier und Tierschützer dürfte das gelten, da sie nicht hören wollen, daß die "Freilandhühner" im selben Schlachthof enden wie alle anderen. Tierrechtler und Veganer wissen, daß die Moral längst die einzig vertretbare Alternative aufgezeigt hat: schlichtweg keinen Tiere mehr Leiden zufügen und vegan zu werden.



Die Worte seiner Zusammenfassung verdienen fast schon eine Nadel im Misthaufen:
Zitat:

Moreover, I will argue that all people concerned with animal welfare should agree that we ought to replace the animals currently used in factory farming with animals whose ability to suffer is diminished if we are able to do so.
Alle, die sich von diesem kontraproduktivem Unsinn fernhalten, stimmen ihm dementsprechend nicht zu.

Er argumentiert ganz auf der Linie der Tierschützer, indem er von einer "Reduktion unnötiger Leiden" ("reduction of unnecessary suffering of animals") spricht – als ob es beim Ausbeuten der Tiere zur Nahrungsgewinnung "nötiges Leiden" gäbe. Shriver hat dabei überraschend mehr Ahnung von Tierrechtsschutzphilosophie als die meisten und so zitiert er Peter Singer vor allem nach "Practical Ethics". Dessen utilitaristische Unsinn liegt in einer Er- oder Verrechnung der Leiden, sodaß Tiere seiner Meinung nach nur das Interesse hätten, nicht oder möglichst wenig zu leiden, weshalb sie vermeintlich schmerzfrei zu töten völlig in Ordnung sei (reiner Pathozentrismus eben). Andere wiederholen den Unsinn, wodurch er auch nicht richtiger wird:
Zitat:

As David Degrazia writes, "when seen from the proper perspective, utilitarianism and animal-rights views appear far more alike than different. Crucially, both extend to animals a principle of equal consideration. Any such principle requires that we (insome significant way) give equal moral weight to comparable interests, regardless of who has those interests"
Die Tierrechte beruhen nicht ausschließlich (wenn auch zu einem großen Teil) auf dem Kriterium der Leidvermeidung. Nicht umsonst steht im Glossar-Eintrag "Tierrechte", daß es moralisch notwendig ist, nichtmenschlichen Tieren die relevanten gleichen Interessen wie Menschen zuzugestehen. Das Interesse auf Leidfreiheit ist nur eines davon. Menschen haben genauso das Interesse, nicht als Ressource benutzt zu werden (als Organspender, als Nahrung, als Experimentierobjekt), genauso wie sie das Interesse auf Bewegungsfreiheit haben, das Interesse, ein ungestörtes Sozialverhalten ausleben zu können usw. (siehe auch: Interessenethik) Aus tierrechtlerischer Sicht ist das Ausschalten der Schmerzempfindung keine "Lösung", da es nur einen kleinen Teil der verletzten Rechte betrifft. Die Argumentation, daß es eine wäre, ist (wie zu erwarten) speziesistisch, denn niemand würde vorgeschlagen, Menschen die Schmerzempfindung wegzuzüchten, damit man an ihnen besser experimentieren kann (schließlich sind Tierversuchsergebnisse zwischen den Spezies nicht übertragbar, weshalb Menschenversuche sinnvoll sind im Gegensatz zu Versuchen an anderen Tieren).



Was Shrivers eigentliche Idee betrifft, ist er wesentlich weiter von der Einlösung der Ansprüche entfernt, als man vielleicht vermutet.
Zitat:

Several authors have argued that the affective dimension of pain is the relevant dimension for what we would call suffering
"Leid" ist zwar zum Großteil mit "Schmerz" synonym, aber eben nicht vollständig und daher ist Schmerz allein definitiv nicht das "relevante Maß" für Leid. Leid wird, neben der Hyperstimulation sensorischer Nerven (Schmerz), auch erzeugt durch psychische Faktoren wie Langeweile und die Unterdrückung der natürlichen Verhaltensweise, die insbesondere bei "Zoo-" und "Nutz"tieren zu Stereotypie (Im-Kreis-Laufen im Käfig), Zwangsstörungen (Kannibalismus als Ersatzhandlung des Pickens bei Hühnern) und Angst und Streß (in Folge der gewaltsamen Trennung von Kühen und ihrem neugeborenen Kalb) führt. Dieses Leiden ist keine Frage der Rezeptoren oder der Weiterleitung von Nervenimpulsen, sondern der psychischen Prozesse. Selbst wenn es also gelänge, die Schmerzrezeptoren auszuschalten oder die Interpretation der Nervenimpulse ins Positive zu verkehren, würde das Leid der Tiere nur verringert, nicht beseitigt - von der Verletzung aller anderen (tierrechtsrelevanter) Interessen ganz zu schweigen. Shriver kommt auch zu dieser Einsicht und redet sich damit heraus, die Unterbindung der körperlichen Schmerzen sei ein Großteil des Leidens ("a great deal of suffering") und deshalb besser als nichts.



Tiere so zu züchten, daß ihre Nutzung als Ressource keine Tierrechte mehr berühren würde, würde mindestens bedeuten, ihre gesamten kognitiven Eigenschaften auszuschalten. Da sie so keine Individuen und nicht lebendig, sondern eben nur Zellhaufen wären, könnten sie auch nicht von alleine wachsen und Eier legen und Milch produzieren, sodaß dies ein sinnloses Gedankenexperiment ist (selbst wenn, reichte das nicht aus, da Tierrechte sich auf mehr als nur den Mißbrauch als Nahrung beziehen). Statt sich damit aufzuhalten, könnte man auch einfach vegan werden, aber das ist wohl zu einfach für Leute wie Singer und Shriver. Statt eins plus eins zusammenzuzählen (und auf Veganismus als Lösung für das Leiden der Tiere zu kommen), rechnen sie lieber solange an fünf plus vier herum, bis minus dreizehn herauskommt.



Die restliche Argumentation ist, wie gesagt, tierschützerisch durch und durch. Es sei zwar die einfachste Lösung, keine Tierprodukte (er allerdings spricht nur von Leichenteilen) zu konsumieren, aber für viele Menschen sei es leichter, Tierprodukte (vermeintlich) nichtleidender Tiere zu wählen als gar keine – als ob man die Ansprüche der Ethik am status quo festzulegen hätte.

Und alle, die die Züchtung solcher Tiere als "Übergangslösung" für eine gute Idee halten, sollten sich fragen, ob die Menschen, die so etwas konsumieren, (a) wahrscheinlich vegan werden, obwohl sie durch das (falsche) Prädikat "leidfrei" ein gutes Gewissen und damit keinen Grund mehr haben, ihr Verhalten zu ändern, oder (b) nicht vegan werden, weil sie zum einen ein gutes Gewissen beim Konsum haben und zum anderen nicht verstanden haben, daß Tiere kein Mittel zum Zweck für Menschen sind, sodaß sie auch weiterhin in "Zoos" und "Zirkusse" gehen. Falls man der Logik zu Liebe eher zu (b) neigen sollte, könnte man daraus ableiten, daß Tierschutz nicht funktioniert und den Tieren nicht hilft. So ganz theoretisch jedenfalls...

[Quelle: http://tierrechtsforen.de/1/7477]